Wenn wir an den Alterungsprozess denken, kommt uns meist das kalendarische Alter in den Sinn – also die Anzahl unserer Lebensjahre. Tatsächlich aber kann unser biologisches Alter deutlich variieren: Manche Menschen wirken körperlich und geistig fit, obwohl sie schon viele Lebensjahre zählen, während andere bereits in jüngeren Jahren Anzeichen vorzeitiger Alterung zeigen. Ein Baustein, der Aufschluss über diesen Unterschied geben kann, sind die Telomere. Was es damit auf sich hat, wie sie sich testen lassen und wie Sie sie positiv beeinflussen können, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Was sind Telomere?
Telomere sind spezielle Strukturen an den Enden unserer Chromosomen. Chromosomen enthalten das Erbgut unserer Zellen und müssen bei jeder Zellteilung zuverlässig kopiert werden. An den Enden der Chromosomen befinden sich Telomere, die wie eine Art „Schutzkappe“ fungieren. Sie bestehen aus sich wiederholenden DNA-Sequenzen und speziellen Proteinen. Ihre Hauptfunktion:
Schutz der Chromosomenstruktur: Telomere sorgen dafür, dass die Erbinformation intakt bleibt und keine wichtigen Genabschnitte verloren gehen.
Stabilität: Sie helfen, unsere Chromosomen stabil zu halten, damit sie korrekt vervielfältigt werden können.
Mit jeder Zellteilung kürzen sich die Telomere jedoch ein wenig, was man sich wie das Abnützen einer Schutzschicht vorstellen kann. Dieser natürliche Prozess ist ein Teil des Alterns. Werden die Telomere zu kurz, können sich Zellen entweder nicht mehr teilen oder ihre Funktionsfähigkeit nimmt spürbar ab. In der Fachsprache nennt man diese nachlassende Fähigkeit der Immun- und Körperzellen Immunseneszenz.
Warum die Länge der Telomere wichtig ist
Wenn Telomere sehr schnell und stark verkürzt werden, kann das ein Hinweis darauf sein, dass unser Organismus unter hohem Stress steht oder besonders starken Zellschädigungen ausgesetzt ist. Dazu zählen Faktoren wie:
Ungesunde Ernährung
Chronischer Stress
Bewegungsmangel
Rauchen oder übermäßiger Alkoholkonsum
Dauerhafte Belastung durch Umwelteinflüsse
Umgekehrt werden lange Telomere oftmals mit guter Gesundheit und einer hohen Teilungsfähigkeit der Zellen assoziiert. Da sich dieser Marker individuell stark unterscheiden kann, sagt die Telomerlänge oft mehr über den tatsächlichen „Zustand“ Ihres Körpers aus als reine Lebensjahre.
So funktioniert die Telomerdiagnostik
In meiner Praxis für Funktionelle Medizin arbeite ich mit spezialisierten Laboren zusammen, um die Telomer-Längenmessung in den Leukozyten (weiße Blutkörperchen) durchzuführen. Diese Zellen bieten sich besonders an, weil sie leicht aus einer Blutprobe gewonnen werden können und einen repräsentativen Hinweis auf die immunologische Leistungsfähigkeit geben.
Blutentnahme: Es wird eine kleine Menge Blut abgenommen, um die darin enthaltenen Leukozyten zu untersuchen.
DNA-Gewinnung: Im Labor wird aus diesen weißen Blutkörperchen die genomische DNA extrahiert.
qPCR-Technik (quantitative Polymerase-Ketten-Reaktion): Die Telomerdiagnostik nutzt ein modernes, molekularbiologisches Verfahren namens qPCR. Dabei wird das Verhältnis der variablen Telomerlänge zu einem stabilen, unveränderlichen Gen im Erbgut bestimmt (sogenanntes T/S Ratio).
Vergleich mit Referenzwerten: Das individuelle Testergebnis wird mit Daten aus einer Vergleichsgruppe desselben Alters (chronologisches Alter) in Bezug gesetzt. So entsteht ein guter Eindruck davon, ob Ihre Telomerlänge dem altersüblichen Durchschnitt entspricht oder ob sie eher länger bzw. kürzer ist.
Anhand des Ergebnisses lässt sich eine Abschätzung des biologischen Alters vornehmen. Ein deutlich niedrigerer Wert als bei Gleichaltrigen kann darauf hinweisen, dass die Zellen vermehrtem Stress oder anderen negativen Einflüssen ausgesetzt waren.
Telomere positiv beeinflussen: Tipps für ein langes und gesundes Leben
Die gute Nachricht: Sie können aktiv auf Ihre Telomerlänge einwirken, indem Sie sich einen gesünderen Lebensstil aneignen. Die wichtigsten Maßnahmen:
Ausgewogene Ernährung: Eine frische, vielseitige Kost mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Eiweißquellen liefert wichtige Mikronährstoffe, die die Zellen und somit auch die Telomere schützen können.
Regelmäßige Bewegung: Studien zeigen, dass moderate körperliche Aktivität – am besten an der frischen Luft – einen positiven Effekt auf die Telomerstabilität haben kann. Ob flotter Spaziergang, Radfahren oder Yoga: Finden Sie eine Bewegungsform, die zu Ihnen passt.
Stressmanagement: Dauerhafter Stress fördert die Freisetzung von schädlichen Stresshormonen, welche die Telomerverkürzung beschleunigen können. Entspannungstechniken wie Meditation, Atemübungen oder Achtsamkeitstraining helfen, Stress zu reduzieren und die Zellen zu schützen.
Ausreichend Schlaf: Während des Schlafs regeneriert sich unser Körper – so auch unsere Zellen. Regelmäßige Schlafenszeiten und eine ruhige, abgedunkelte Umgebung unterstützen die nächtliche Regeneration.
Reduzierung schädlicher Einflüsse: Verzichten Sie nach Möglichkeit auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum. Auch ein moderater Umgang mit Zucker und stark verarbeiteten Lebensmitteln trägt dazu bei, die Telomere zu schonen.
Fazit: Wissen, wo Sie stehen – und gezielt handeln
Die Telomerdiagnostik bietet Ihnen einen spannenden Einblick in Ihren biologischen Alterungsprozess und kann ein wertvoller Anhaltspunkt sein, um Ihren Lebensstil zu optimieren. Wenn Sie erfahren möchten, wie es um Ihre Telomerlänge steht und wie Sie Ihre Gesundheit langfristig stärken können, unterstütze ich Sie gerne in meiner Praxis für Funktionelle Medizin.
Gemeinsam schauen wir, welche Schritte in Ihrem Alltag umsetzbar sind und wie Sie Ihre Lebensweise anpassen können, um Ihre Telomere (und damit Ihr biologisches Alter) positiv zu beeinflussen. Vereinbaren Sie gerne einen Termin – ich freue mich darauf, Sie persönlich zu beraten und zu begleiten.
Weiterführende Informationen
Überblick zu Telomeren und Telomerase
Blackburn EH.
Telomeres and telomerase: their mechanisms of action and the effects of altering their functions.FEBS Letters. 2005;579(4):859–862.
→ Elizabeth Blackburn (Nobelpreisträgerin 2009) gilt als eine der Pionierinnen in der Telomer-Forschung. In dieser Publikation erklärt sie die grundlegende Funktionsweise von Telomeren und der Telomerase, dem Enzym, das für den Erhalt der Telomerlänge verantwortlich ist.
Shay JW, Wright WE.
Telomeres and telomerase: Three decades of progress.Nature Reviews Genetics. 2019;20(5):299–309.
→ Ein Übersichtsartikel, der die Entwicklung der Telomerforschung über mehrere Jahrzehnte zusammenfasst und den aktuellen Stand sowie zukünftige Forschungsperspektiven beleuchtet.
Zusammenhang von Telomerverkürzung und Alterung
Harley CB, Futcher AB, Greider CW.
Telomeres shorten during ageing of human fibroblasts.Nature. 1990;345(6274):458–460.
→ Eine der ersten Studien, die den direkten Zusammenhang zwischen Alterung und Verkürzung der Telomere in menschlichen Zellen (Fibroblasten) bestätigte.
Finkel T, Holbrook NJ.
Oxidants, oxidative stress and the biology of ageing.Nature. 2000;408(6809):239–247.
→ Allgemeiner Überblick zu oxidativem Stress als einem zentralen Faktor für beschleunigte Alterungsprozesse – insbesondere relevant für die Telomerverkürzung.
Einfluss von Lebensstil und Stress auf Telomerlänge
Epel ES, Blackburn EH, Lin J, et al.
Accelerated telomere shortening in response to life stress.Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). 2004;101(49):17312–17315.
→ Zeigt, dass chronischer psychischer Stress mit beschleunigter Telomerverkürzung einhergehen kann. Besonders interessant für den Bereich Stressmanagement.
Puterman E, O’Donovan A, Adler N, Tomiyama AJ, Kemeny M, Wolkowitz O, Mendes WB, Blackburn E, Epel E.
Physical activity moderates stressor-induced rumination on cortisol reactivity in healthy women.Psychosomatic Medicine. 2011;73(7):604–611.
→ Studienergebnisse zum positiven Einfluss von körperlicher Aktivität auf Stressreaktionen; indirekt relevant für den Schutz der Telomere und die Verminderung von „Stress-bedingter Alterung“.
Ornish D, Lin J, Daubenmier J, et al.
Increased telomerase activity and comprehensive lifestyle changes: A pilot study.The Lancet Oncology. 2008;9(11):1048–1057.
→ Untersuchung, wie eine intensive Ernährung- und Lifestyle-Intervention (inklusive Stressmanagement, Bewegung und gesunder Ernährung) die Telomerase-Aktivität und damit potenziell auch die Telomerlänge positiv beeinflussen kann.
Methodik der Telomerdiagnostik (qPCR)
Cawthon RM.
Telomere measurement by quantitative PCR.Nucleic Acids Research. 2002;30(10):e47.
→ Grundlegende Beschreibung des qPCR-Verfahrens zur Messung der Telomerlänge, das in vielen Laboren angewendet wird.
Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns (Deutschland):
https://www.age.mpg.de
→ Forschungsbeiträge zu verschiedenen Aspekten des Alterns, teilweise mit Bezug zu Telomeren.